[Antisemitismus in Osteuropa]
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Polens Präsident brach das Tabu
Von Gabriele Lesser
KSTA, 12.7.2001, Leitartikel
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Polen hat einen neuen Helden. Sein Name: Aleksander
Kwasniewski. Als er am 60. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne auf
dem Marktplatz dieses kleinen ostpolnischen Städtchens sagte: "Ich
entschuldige mich für das Verbrechen von Jedwabne - als Mensch, als
Staatsbürger und Präsident Polens", war dies ein Befreiungsschlag.
Endlich, nach vielen Monaten quälender Debatte über ein
Verbrechen, dessen Urheberschaft die meisten Polen bis heute
ableugnen, sagte der Präsident die Wahrheit: "Es gibt keinen Zweifel
- hier in Jedwabne haben Bürger der Republik Polen andere Bürger
dieser Republik umgebracht. Menschen haben Menschen, Nachbarn ihren
Nachbarn dieses Schicksal bereitet".
Vor sechzig Jahren hatten die katholischen Jedwabner
ihre jüdischen Nachbarn bei lebendigem Leibe in einer Scheune
verbrannt. Deutsche Soldaten und SS-Männer standen daneben und
filmten oder fotografierten das Massaker. So wie sie es in
zahlreichen anderen ostpolnischen Ortschaften auch taten.
Mit dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion und
die bis 1941 sowjetisch besetzten Gebiete Ostpolens begann die
verbrecherische "Endlösung der Judenfrage". Ende Juni 1941 hatte
Reinhard Heydrich, der Chef der geheimen Staatspolizei im Dritten
Reich, den Einsatzgruppen hinter der Front den Befehl gegeben, in
den neu zu besetzenden Gebieten im Osten Pogrome "spurenlos
auszulösen, zu intensivieren und wenn erforderlich in die richtigen
Bahnen zu lenken".
Auch polnische Historiker kannten diesen Befehl und
wussten, dass nicht nur Ukrainer, Litauer und Letten den Nazis
willfährig geholfen hatten, die jüdischen Nachbarn umzubringen,
sondern auch Polen. Dennoch hat kein polnischer Historiker darüber
geforscht und geschrieben.
Erst das Buch des in New York lebenden Soziologen Jan
Tomasz Gross mit dem Titel "Nachbarn" brachte die Diskussion in
Gang. Doch bis heute ist das Thema "Kollaboration mit den Nazis" ein
Tabu in Polen. Auch Präsident Kwasniewski hat in seiner mutigen und
klaren Rede dieses Wort nicht in den Mund genommen.
Doch mit seiner öffentlichen Entschuldigung bei den
Pogrom-Opfern und ihren Familienangehörigen hat er der Gesellschaft
die bedrückende Last einer historischen Schuld abgenommen, die kaum
jemand bekennen wollte.
Weder der Ministerpräsident Polens Jerzy Buzek und
seine Regierung, noch das Oberhaupt der katholischen Kirche Polens,
Primas Jozef Glemp und die Bischöfe des Landes, hatten zugeben
wollen, dass in Jedwabne ausnahmsweise nicht die Deutschen die
Mörder waren, sondern die eigenen Landsleute. Die Regierung hatte
geschwiegen und tut es bis heute. Primas Glemp und die Bischöfe
entschuldigten sich nur halbherzig bei Gott, noch dazu in einer
Kirche, die als Treffpunkt der Rechtsradikalenszene Warschaus gilt.
An der großen Trauerfeier in Jedwabne nahm kein
einziger Bischof Polens teil. "Es regnet", hatte Tadeusz Mazowiecki
am neu angelegten Friedhof für die ermordeten Juden gesagt. Dann
setzte der engagierte Katholik und erste freigewählte
Ministerpräsident Polens nach der Wende 1989 hinzu:
"Die ganze Natur und vielleicht auch der Herrgott
weinen heute". Nicht nur über das unfassbare Geschehen in Jedwabne
1941, möchte man hinzufügen. Auch über die katholischen Bischöfe
Polens von heute. hagalil.com
/ 26-07-2002 |